Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Heidelberger Splitter

Pädagoge in guter Verfassung

Ein Heidelberger Lehrer durfte vier Jahre lang nicht unterrichten, weil er angeblich nicht verfassungstreu war. Er klagte - und gewann.

 

Der Prozess dauerte vier Jahre, zog sich durch mehrere Instanzen und fand bundesweite Beachtung: Darf einem Heidelberger Lehramtsanwärter wegen seiner politischen Einstellung die Verbeamtung und die Tätigkeit als Lehrer an einer deutschen Realschule verwehrt werden? Nun hat ein Gerichtsurteil für den Betroffenen, Michael Czaszkóczy, aber auch für alle Lehramtsstudierenden in Deutschland Klarheit geschaffen: Die Bescheide des Oberschulamtes wurden im März vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg aufgehoben. Über den Antrag des Absolventen der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg von 2002 muss nun neu entschieden werden, wobei die Behörde der für den Lehrer positiv ausgefallenen Bewertung durch die Richter folgen muss.

"Radikalenerlass" von 1972

So wird es voraussichtlich doch kein "Berufsverbot" - so nennen es Unterstützer Michael Czaszkóczys, darunter die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) - aus politischen Gründen für Michael Kunststück geben. Die Grundlage für die erstinstanzliche Ablehnung Czaszkóczys war der sogenannte "Radikalenerlass" von 1972. Damals wurden Millionen Beamte auf ihre Loyalität gegenüber dem Staat überprüft und Tausenden Angehörigen der Friedensbewegung und der DKP die Arbeit im öffentlichen Dienst versagt. Diese Praxis wurde auch im Ausland als undemokratisch kritisiert, und seit den achtziger Jahren wurde die umstrittene Regelanfrage beim Verfassungsschutz nicht mehr durchgeführt. 1995 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Anwendung des Paragraphen im Fall einer Lehrerin, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP aus dem Staatsdienst entfernt wurde.

Unter Beobachtung

Als das Oberschulamt Karlsruhe 2004 den alten Paragraphen wieder aus der juristischen Mottenkiste holte, geschah dies in Übereinstimmung mit der damaligen Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst von Baden-Württemberg und heutigen Bundesbildungsministerin, Annette Schavan. Ihr Ministerium hatte vom Stuttgarter Innenministerium Daten über Czaszkóczy erhalten. Bereits als Student, nämlich seit 1992, hatte der Verfassungsschutz Czaszkóczy beobachtet - und über zwölf Jahre lang eine Liste seiner politischen Aktivitäten angelegt. Michael Czaszkóczy ist Mitglied einer Heidelberger Gruppierung, der "Antifaschistischen Initiative Heidelberg" (AIHD). Diese ist vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft.

Doch der vorsitzende Richter Klaus Brockmann konnte in der "Sündenliste" Czaszkóczys keine Hinweise mangelnder Verfassungstreue des Lehramtsanwärters erkennen. Auch dessen Weigerung, sich pauschal von Erklärungen der AIHD zu distanzieren, in denen "Militanz" als politisches Mittel propagiert wurde, ließ das Gericht nicht als Ablehnungsgrund gelten: Czaszkóczys Verhalten in den letzten Jahren entspreche seiner klaren persönlichen Distanzierung von Gewalt. Zudem, so das Gericht, dürften nicht nur etwaige negative, sondern es müssten auch die positiven Wesensmerkmale eines Bewerbers berücksichtigt werden. Michael Czaszkóczys politische Tätigkeiten haben ihre Schwerpunkte in der Jugendarbeit, im Kampf gegen den Rechtsextremismus und gegen den Abbau des Asylrecht.

Für den baden-württembergischen Landesvorsitzenden der GEW, Rainer Dahlem, geht von dem Urteil des Verwaltungsgerichts ein Signal an alle Lehramtsstudierenden aus: "Wir brauchen Lehrer mit Rückgrat statt die Sanktionierung von politischem Engagement durch das undemokratische und antiquierte Mittel des Berufsverbots", äußerte er sich in einer Pressemitteilung zu dem Fall.

Fortsetzung folgt?

Michael Czaszkóczy ist mittlerweile vom Oberschulamt zu einem weiteren "vertiefenden Einstellungsgespräch" nach unserem Redaktionsschluss geladen worden. "Ich verstehe nicht, welchen Zweck diese neue Vorladung haben soll - wenn das Oberschulamt keine neuen Erkenntnisse hat, müsste es meinen Antrag nun eigentlich ohne ein neues Gespräch bearbeiten", meint Czaszkóczy, der deshalb erst einmal Akteneinsicht gefordert hat. Der inzwischen 37jährige Pädagoge, der durch seine dunkle Kleidung und eine große Anzahl von Ohrringen auffällt, wirkt mehr wie ein sanftmütiger Mensch als ein gewaltbereiter Staatsfeind. Er freue sich natürlich, meint Czaszkóczy, dass er jetzt wohl endlich seinem Wunschberuf nachgehen dürfe. Doch er hoffe, dass auch andere politisch aktive Studierende aus seinem Engagement für sein Recht Vorteile ziehen werden. "Es ist nun klarer, unter welchen Umständen das Berufsverbot verhängt werden kann - andererseits hat der Verwaltungsgerichtshof auch keine allgemeinen Zweifel an der Praxis des Berufsverbots durchblicken lassen."

 

Gabriel A. Neumann

 

zum Seitenanfang
Fragen oder Anregungen zu diesen Seiten: Philippe Bayer
Stand: 14. August 2007
Services
Nr. 18 / Sommer 2007
Titelseite Alumni Revue Sommer 2007
Weiterlesen