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   ALUMNI REVUE - AUGUST 2003
       

    
    
 

Alumni Spotlight


Freunde vertrieben die Fremdheit

Dr. Rafik Schami

Eine Buchhandlung in der Heidelberger Hauptstraße. Dicht gedrängt sitzen Menschen aller Altersgruppen zwischen Bücherregalen und Verkaufstischen. In der Mitte ein Mann mit Oberlippenbart, einer Brille mit rundem Rahmen und Lachfalten. Eigentlich war angekündigt, dass Rafik Schami hier eine Lesung abhalten wolle. Doch nur von Zeit zu Zeit nimmt der Autor das neue Buch "Mit fremden Augen", ein Tagebuch über sein Erleben der Ereignisse nach dem 11. September, in die Hand. Statt dessen erzählt er frei von seinen Erfahrungen aus dieser Zeit, und sein leichter Akzent gibt seinem Vortrag dabei eine besondere Würze.

Rafik Schami ist einer der erfolgreichsten Autoren deutscher Sprache. Sein Werk wurde in 21 Sprachen übersetzt - nur in seinem Heimatland, Syrien, gilt er weiterhin als persona non grata. Bekannt wurde Schami in Deutschland durch seine Märchen. Es sind Geschichten, die im Orient spielen, und die nicht nur von Kindern, sondern auch von Erwachsenen gelesen werden. Doch immer wieder äußert sich Schami auch kritisch zu politischen Fragen - gerade, wenn es um Syrien und den Nahen Osten geht.

Nach Heidelberg kam Schami 1971. Der damals 25-jährige wollte hier studieren - nicht etwa Literatur, sondern Chemie. Dieses Fach hatte er schon auf der Universität in Damaskus gewählt. Nicht nur, weil es ihm zugesagt habe, sondern auch, um die Erwartungen seiner Familie nicht zu enttäuschen. "Auch in Deutschland ist das nicht anders: Wenn ein Kind hier seinem Papa sagt ‚Ich habe beschlossen, Dichter zu werden', glaube ich nicht, dass der in Jubel ausbricht", erklärt Schami schmunzelnd. In Deutschland hoffte er auf eine noch bessere Ausbildung. "In den 60er Jahren hatten wir als studentische Vertreter der ‚Dritten Welt' die Illusion, dass wir als Akademiker und Naturwissenschaftler unsere Heimat entwickeln und zu einem Staat der ‚Ersten Welt' machen könnten", erinnert sich Schami. Warum dieses Wunschbild sich nicht erfüllt habe? "Das ist insofern eine Illusion, als dass man als Akademiker allein nichts machen kann, wenn die politischen Systeme nicht tragen, wenn es keinen anständigen Gesamtplan gibt."

Rafik Schami blieb seinem Ziel treu, Chemiker zu werden: 1979 promovierte er. Doch habe er auch die Literatur nie vergessen: "In Heidelberg - nur als Beispiel - habe ich mit meinem einfachen Deutsch in dem Studentenheim, wo ich wohnte, Geschichten erzählt. Ich veröffentlichte auch, in kurzlebigen, studentischen Blättern. Ganz kleine Texte, so Zehnzeiler. Warum die Augen tränen, wenn man die Zwiebel schneidet." So sei die Neigung zur Literatur immer parallel zu dem Interesse an der Chemie bestehen geblieben. "Meine erste richtige Veröffentlichung war ein Märchenband, danach kam meine Doktorarbeit" - für Schami eine Reihenfolge mit Symbolwert.

Der Aufenthalt in Heidelberg, der zunächst nur für die Dauer des Studiums geplant war, sollte 14 Jahre dauern. Erst 1985 sagte Schami der Neckarstadt, in der er heute noch Freunde hat, Lebewohl. Was begründete diese enge Bindung an seine Universitätsstadt? Der erste Eindruck sei eine Überraschung gewesen: "Ich erwartete wie wohl jeder Mensch aus der ‚Dritten Welt' eine hochtechnisierte Welt, und entdeckte eine romantische Stadt mit Pflastersteinen und einer altmodischen Straßenbahn - nicht wie die heutige, sondern die von vor dreißig Jahren! - mit wackligen Waggons. Heidelberg selbst: eine alte Brükke, alte Häuser und enge Gassen - ich dachte ‚Schlimmer als Damaskus!'" Doch dann, berichtet Schami weiter, sei etwas Besonderes geschehen: "Ich habe hier sehr schnell Freunde gefunden, die mir das Gefühl der Fremdheit sehr schnell vertrieben", erinnert sich Schami. Verglichen mit anderen Orten sei Heidelberg eine "Art Insel der multikulturellen Gesellschaft" gewesen. Allein in dem Wohnheim, in dem er lebte, seien 30 bis 40 Nationalitäten vertreten gewesen.

Dieses Wohnheim war das Collegium Academicum, damals kurz ‚CA' genannt, das heute Sitz der Universitätsverwaltung und auch von Heidelberg Alumni International ist. Rafik Schami gerät ins Schwärmen, wenn er sich an seine Zeit dort erinnert: "Für mich war die Demokratie da drin am beeindruckendsten. Dass auf den Vollversammlungen alle das Leben betreffenden Punkte besprochen und darüber abgestimmt wurde, war für mich etwas Besonderes. Ich kam aus einer Diktatur, und konnte hier üben, wie schwer Demokratie ist." Und welche Chancen sie den Menschen biete: Seine Freizeit widmete er vielfältigen sozialen Projekten. Sehr intensiv seien die Erfahrungen gewesen, die er als Betreuer von Obdachlosen gemacht habe: "Es gab Augenblicke in diesen Nächten, die sehr schwer waren. Diese Augenblicke konnte mir keine akademische Bildung geben, sondern nur diese Gesellschaft, in der ich damals lebte."

Später, erzählt Schami, sei er in die Ziegelhäuser Landstraße zur Evangelischen Studentengemeinde umgezogen, wo er als Ausländerreferent arbeitete. "Ich habe mich wohl gefühlt, war integriert, und hatte Kraft, anderen zu helfen." Nein, er sei nicht besonders sozial engagiert gewesen, sein Einsatz sei für ihn selbstverständlich: "Man muss ja nicht warten, bis eine Partei ein Problem entdeckt, sondern nimmt selbst Anlauf, um es zu lösen."

So kann Rafik Schamis Zeit in Heidelberg auch als Erklärung dafür dienen, warum der Erzähler Schami, der sich als Märchenautor einen Namen machte, an dem Abend unseres Gesprächs ein politisches Buch dem Heidelberger Publikum vorstellte, dessen Titel "Mit fremden Augen" lautet. Das bedeute nicht, dass er sich in Deutschland als Person fremd fühle. "Der Titel betont den besonderen Blickwinkel meiner anderen Vergangenheit und meiner anderen Erziehung, die meine deutschen Landsleute nicht haben." Er vereine, meint Schami, eben mehrere Kulturen in sich: Die islamischarabische, und die deutsche, wenn auch keine von beiden im Sinne von ‚Leitkultur': "Die Sprache, in der ich schreibe, und das Land, in dem ich lebe, ist deutsch."

Gabriel A. Neumann

 


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Heidelberg, den 25. August 2003 2003