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   ALUMNI REVUE - JULI 1998
       

    
    
 

Titel


Wege in die Zukunft

Neue Herausforderungen für Wissenschaft und Forschung

In weit weniger als 1000 Tagen beginnt das 21. Jahrhundert. Die Gefühle der Menschen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend pendeln zwischen Optimismus und Zukunftsängsten, zwischen Fortschrittsglauben und ethisch-moralischen Bedenken. Vor diesem Hintergrund sehen sich Forschung und Wissenschaft als die Motoren der geistigen Entwicklung vor neue Herausforderungen gestellt- zum Beispiel die seit Jahren bekannte, aber zu wenig beachtete Umweltproblematik mit ihren vielfältigen, global wirksamen Aspekten. Oder die bahnbrechenden Entdeckungen der Genforschung in der jüngsten Zeit, die von manchen Zeitgenossen mißtrauisch beäugt werden. So muß jeder Wissenschaftler, der an den Grenzen des Machbaren forscht, permanent die Grenzen des Zumutbaren ausloten. Neben Fragen der Ethik steht auch das Verhältnis zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung auf dem Prüfstand. Und schließlich muß auch die Universität auf dem Weg in die Zukunft ihr Profil neu definieren und schärfen.

Das Gehirn als Universum

"Hinter unserer Stirn befinden sich Nervenzellen, die sich ausschließlich mit der Zukunft beschäftigen", erläutert Prof. Konrad Beyreuther, Direktor des Zentrums für Molekulare Biologie (ZMBH). "Im Experiment können wir zeigen, daß diese ,Zukunftsneuronen` ganz entscheidend für Krankheit oder Gesundheit sind." Der Molekularbiologe ist fasziniert vom Gehirn und seinen Möglichkeiten: Mit dreißig Milliarden Nervenzellen, die jeweils 50.000 Kontakte aufbauen können, erweist sich das Denkzentrum des Menschen als das wohl komplexeste System des uns bekannten Universums. Konrad Beyreuther hat sich seine Erforschung zur Aufgabe gemacht, will herausfinden, wie wir denken - aber nicht zum bloßen Selbstzweck. "Die Neurowissenschaften sollen der Lebensqualität dienen." Im Zentrum seiner Forschung steht daher ein Problem, das die Menschheit in Zukunft mehr und mehr beschäftigen wird. Seit siebzig Jahren ist die durchschnittliche Lebenserwartung in der westlichen Welt von 47 auf 75 Jahren gestiegen, künftig werden mehr Menschen als je zuvor hundert Jahre alt werden.

Alzheimer: "Kabelbrand" im Kopf

"Das Phantastische am Gehirn ist ja", so Beyreuther, "daß seine Fähigkeiten im Alter nicht abnehmen - außer durch Krankheiten." Zum Beispiel Morbus Alzheimer. Sie ist die tückischste und typischste Erkrankung des Alterns zugleich, denn achtzig Prozent der 100-jährigen und immerhin noch zwanzig Prozent der 80-jährigen leiden darunter. Konrad Beyreuther gilt als einer der bedeutendsten Alzheimer-Forscher und leitet die weltweit führende Arbeitsgruppe auf diesem Gebiet. Er hat zusammen mit dem Team um Prof. Benno Müller-Hill in Köln das wichtigste Alzheimer-Gen kloniert. Wie entsteht diese Geißel des Alterns? "Kurz gesagt scheint Alzheimer eine ,Reparaturkrankheit` zu sein, bei der das Gehirn seine Nervenzellkontakte auszubessern versucht." Mitauslöser der Krankheit ist die Entstehung des sogenannten Amyloid-ß-Peptids. Sie führt dazu, daß bestimmte Hirnregionen mit "Seeigel-förmigen" Strukturen, den "Amyloidplaques", übersät sind und daß nach und nach der gesamte "Nachrichten"-Transport zum Erliegen kommt. Die Folgen sind bekannt: ein fortschreitender Verlust des Gedächtnisses und der Hirnfunktionen bis hin zum Tod. "Diesen, ,Kabelbrand` im Kopf wollen wir löschen oder zumindest verlangsamen", erklärt Beyreuther. Die molekularen Wirkungsmechanismen der Krankheit sind mittlerweile sehr gut erforscht, und eine Alzheimer-Therapie ist auch keine Utopie mehr. "In der Zukunft sind verschiedene Szenarien möglich", so Beyreuther. "Durch Medikamente können wir die Prozesse stoppen oder hemmen. Zum Beispiel lassen sich unterbrochene Nervenbahnen durch eine Art chemisches ,Pflaster` überbrücken."

Genetik und Ethik: Grenzen für die Wissenschaft

Das Wörtchen "Gen" machte in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit Furore. Von der Gen-Manipulation bis zur vielzitierten "Gen-Tomate" reichte das Spektrum der oft negativ gefärbten Themen. "Vieles davon ist Unsinn", wundert sich Prof. Ekkehard Bautz, der seit Jahrzehnten im Institut für Molekulare Genetik forscht und das ZMBH mit initiierte, " denn jede Tomate hat Gene." Sein Kollege Konrad Beyreuther stimmt dem zu und hält es für wichtiger, "daß wir Wissenschaftler das Vertrauen unserer Mitmenschen, ihr inneres Einverständnis erwerben können." Um dieses Vertrauen zu gewinnen, läßt sich die Wissenschaft auch kontrollieren durch die Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg zum Beispiel. An den Universitäten wurden Ethik-Kommissionen eingerichtet, die das Spannungsverhältnis zwischen dem prinzipiell Machbaren und dem ethisch Wünschenswerten ausloten. Und die Grenzen? "Die sind für mich bei Xenotransplantationen überschritten, wenn etwa Schweineherzen in den menschlichen Körper verpflanzt werden", so Beyreuther, der auch Mitglied der Ethikkommission an der Universität Heidelberg ist. Der Schutz des Individuums steht im Mittelpunkt, wenn die Ethik-Kommission ein Forschungsvorhaben bewertet.

Neuer "Coach" für gute Forschung

Mit einer gänzlich anderen Fragestellung muß sich Ulrike Albrecht befassen, wenn ein Forschungsvorhaben auf ihrem Schreibtisch landet. Die promovierte Historikerin ist seit Dezember letzten Jahres Forschungsdezernentin und damit für die Koordination der Forschung an der Ruperto Carola zuständig. Das Forschungsdezernat kümmert sich wie ein Coach" um alle Wissenschaftler, die sich um finanzielle Förderungen bemühen - mit sichtbarem Erfolg, denn beim "Ranking" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) schneidet Heidelberg sehr gut ab.

"Wir haben die meisten Graduiertenkollegs in Deutschland", freut sich Ulrike Albrecht, "und das, obwohl die Konkurrenz derzeit sehr groß ist."

Neben den 17 Kollegs steht die Universität mit neun laufenden Sonderforschungsbereichen (SFB) von der molekularen Biologie neuraler Mechanismen bis zur der Entwicklung von Galaxien - mit ganz vorne. Und bei den DFG-Bewilligungen belegt sie mit einer Summe von über 250 Millionen Mark hinter der Uni München und zwei technischen Hochschulen den vierten Platz. "Zur Zeit werden zwei neue Graduiertenkollegs eingerichtet", berichtet Ulrike Albrecht, "und wir bringen auch neue SFBs auf den Weg."

Das Ergebnis des DFG-Rankings bestätigt auch den Prorektor für Forschung, Heinz Hornen darin, "daß wir hier offensichtlich gute Forschung machen. Und es zeigt darüber hinaus, daß wir den richtigen Weg eingeschlagen haben."

Ressourcen und Ressentiments

Zum richtigen Weg gehört einerseits die Konzentration auf Schwerpunkte wie Medizin und Biologie. Hier konnte die Universität im Jahr 1991 mit dem Nobelpreis für den Mediziner Bert Sakmann die Früchte exzellenter Forschung ernten. Und das ZMBH mit seinen sechs (!) Lehrstühlen für Molekularbiologie weist eine ganze Reihe bemerkenswerter Projekte auf, von der Aufklärung über menschliche Erbinformationen bis hin zur Insulinforschung und Studien zu Epilepsie und Hepatitis.

Andererseits aber zählt zu diesem Weg auch die Förderung interdisziplinärer Institutionen - wie das Interdisziplinäre Institut für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) unter der Leitung von Prof. Willi Jäger oder das Institut für Umweltökonomie. Anwendungsorientierte Umweltthemen spielen hier wie da eine Rolle: Im IWR zum Beispiel untersuchen Teams um Prof. Jürgen Warnatz und Prof. Jürgen Wolfrum Verbrennungsmotoren mit dem Ziel, den Schadstoffausstoß von Automobilen zu senken. Und Prof. Till Requate, seit 1996 Direktor des Instituts für Umweltökonomie, nutzt das Wissen verschiedener Fachrichtungen, um der Frage der "Umwelt- und Ressourcenökonomik" nachzugehen - gemeinsam mit jungen Wissenschaftlern im neu eingerichteten Graduiertenkolleg gleichen Namens.

Ulrike Albrecht erkennt für diese Themen einen europaweiten Trend: "In Brüssel macht man sich verstärkt Gedanken um Ressourcen und nachhaltiges Wachstum. Die Europäische Gemeinschaft fördert zunehmend Projekte in Bereich Umwelt, Dritte Welt und Ernährung."

An den Ressourcen, die in der Forschung selbst liegen, zeigt sich besonders im Bereich der Biowissenschaften die Industrie sehr interessiert. Eine groß angelegte Kooperationsplattform zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wurde vor kurzem mit dem "BioRegio-Projekt" geschaffen. Dabei wurden vor allem zu Anfang gegenseitige Ressentiments spürbar, zwischen Grundlagenforschung und Anwendung, zwischen der Freiheit des Forschers und dem Gewinnstreben des Geschäftsmanns. "Grundlagenforschung ist unverzichtbar", erklärt Ulrike Albrecht. "Sie entspricht dem freien kreativen Forschergeist. Aber die Industrie möchte sich zunehmend an den Erkenntnissen und Ergebnissen der universitären Forschung beteiligen", meint die Forschungsdezernentin.

Für die Lehre der Zukunft: internationaler Studiengang

An die Forscher der Zukunft wendet sich der neue internationale Studiengang "Molekularbiologie". Er soll ab dem Wintersemester 1999/2000 beginnen mit 24 Teilnehmern, davon die Hälfte aus Deutschland. Der englischsprachige Studiengang führt zum Diplom und richtet sich an fortgeschrittene Studierende, die einen Bachelor of Science oder eine dem Vordiplom entsprechende Prüfung abgelegt haben. "Das Studium umfaßt eine viersemestrige Ausbildung mit Lehrveranstaltungen und Praktika sowie acht Monate für die Diplomarbeit", berichtet Dr. Cordula Harter vom Biochemie-Zentrum. Sie organisiert und plant zusammen mit Prof. Bernhard Dobberstein (ZMBH) den Studiengang. Beteiligte Institutionen sind neben dem ZMBH die Biochemie, die Molekulare Genetik, das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) und das Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung - eine Liste, die die Konzentration an hochkarätigen Biowissenschaftlern in Heidelberg belegt. Als Sprache des Studiengangs ist Englisch obligatorisch. Auch die deutschen Studierenden müssen Englischkenntnisse nachweisen. Cordula Harter muß nicht lange überlegen, warum: "Englisch ist die lingua franca in den Naturwissenschaften. In unseren Fächern wird überwiegend in dieser Sprache publiziert. Ich halte es daher für wichtig, schon während des Studiums seine Englischkenntnisse zu optimieren. Insofern ist das auch ein Vorteil für unsere deutschen Studierenden. Und der Gedankenaustausch während des Studiums soll international sein und nicht durch Sprachbarrieren beeinträchtigt werden. "Denn wir wollen vor allem gute Fachstudenten aus aller Welt, und die Sprache könnte mitunter eine Hürde für den Austausch sein."

Die Gelder für den neuen Studiengang sind vom DAAD und vom Land Baden-Württemberg schon bewilligt, die Info-Broschüre und die Informationen für das Internet werden derzeit vorbereitet - für den Transfer exzellenter Forschungsleistungen in die nächste Generation.

Die Zukunft der Universität: Konzentration und Kooperation

Exzellenz in der Forschung - für Rektor Jürgen Siebke gehört sie zu den Mitteln, mit denen die Universität ihr Profil im internationalen Wettbewerb der Zukunft schärfen kann. "Wir müssen uns auf die Gebiete konzentrieren, in denen wir stark sind." Das bedeutet jedoch nicht, sich von verwandten Fachbereichen zu trennen, wenn sie essentiell sind. Der Rektor nennt ein Beispiel: "Wenn wir sagen: Wir sind stark in den Bereichen Medizin und Biologie, dann brauchen wir auch eine starke Chemie und eine starke Physik. Und wenn wir starke Sozialwissenschaften wollen, dann dürfen wir weder auf die Politikwissenschaften, noch auf Soziologie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaft und Jura verzichten."

Zu dieser Konzentration auf die Stärken tritt die Möglichkeit der Kooperation mit anderen Hochschulen. Durch die geographische Nähe ist die Universität Mannheim der ideale Partner für die Ruperto Carola. Seit einigen Jahren rücken die beiden Nachbarn enger zusammen. Gemeinsame Studiengänge und Institute sind geplant und werden eingerichtet.

Auch die innere Struktur der Universität ist im Wandel. "Durch die dezentrale Ressourcenverantwortung sollen die Wissenschaftler mehr Eigenverantwortung beim Umgang mit den Mitteln bekommen", merkt Forschungsdezernentin Ulrike Albrecht an, "zum Beispiel bei der Zuordnung von Personal und Hilfskräften." Sie ist überzeugt davon, "daß an der Universität ein Umdenken stattfinden wird."

Und was zeichnet schießlich den Professor der Zukunft aus? "Hohe Qualität in der Forschung mit internationalen Kontakten und großes Engagement in der Lehre" fordert Rektor Jürgen Siebke. "Das bedeutet vor allem, daß sich die Lehrenden intensiver um die Lernenden kümmern." Er fügt schmunzelnd hinzu: "Wir haben in Heidelberg ja schon viele Professoren, die diesen Typus verkörpern."

Die Ruperto Carola ist unterwegs in die Zukunft. Das zeigte sich jetzt, als Mitte Juni der Abschlußbericht der Hochschulstrukturkommission des Landes Baden-Württemberg veröffentlicht wurde: Den Weg, den das Stuttgarter Gremium in seinem Bericht noch als zukunftsweisend betrachtet, hat die Universität Heidelberg schon beschritten.

Peter Saueressig

Heidelberger Forschung im Netz

Unter der Adresse www.uni-heidelberg.de/forschung erreichen Sie die Forschungsseite der Ruperto Carola, auf der die Forschungsdatenbank, Forscherbibliographien, die Liste der Sonderforschungsbereiche und Graduiertenkollegs und anderes mehr zu finden sind.

Informationen über das Zentrum für Molekulare Biologie (ZMBH) gibt es unter www.zmbh.uni-heidelberg.de

Das Interdisziplinäre Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) ist unter folgender Adresse im Web:
www.iwr.uni-heidelberg.de

Weitere Informationen zu Forschungsprojekten lassen sich bei den einzelnen Fakultäten abrufen. Die Seiten erreichen Sie über die Homepage der Universität Heidelberg www.uni-heidelberg.de

 


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Heidelberg, den 18. Juli 2003